Völkische Tsunamizeugung
Rudolf G. Binding
Unsterblichkeit, 1921
(Rütten & Loening Verlag, Frankfurt am Main)
Hab heut Nacht, recht verdutzt, eine kleine Novelle von
Binding gelesen; nicht den „Opfergang“ (an diese Schullektüre habe ich keine
Erinnerung mehr), sondern „Unsterblichkeit“.
Ein halbes hundert Seiten. Spielt im ersten Weltkrieg. Da
kommen die Deutschen nach Flandern und der Kommandant, „der Flieger“,
unverkennbar: Richthofen, lässt auf einem Gut Weiden und Felder platt machen,
um einen Flughafen zu bauen. Da er dabei auch die das Grab der Mutter
umschattende Baumgruppe absägen will, empört sich die Tochter des Hauses und
nimmt sich vor, das zu verhindern. Die vorausgeschickte Freundin kehrt verstört
zurück und rät dringend ab von einem Besuch beim „Flieger“, Frl. Demeter lässt
sich nicht abbringen.
Als sie sein Zelt (!) betritt, wo er einen Falken auf der
Hand hält, genügt ein Blick von ihm, um sie niederzuschmettern. Er streichelt
die halb Ohnmächtige ins Leben zurück; sie geht, sie habe nichts mehr zu sagen.
Sie hat erkannt: Was sind einem Mann, der
die Himmel beherrscht, Gräber und Bäume. Ihm, der sich jeden Tag der
Unendlichkeit des Raumes und des Todes zugleich gegenüber sieht, was gilt für ihn
anderes als diese. Er hat andere Maße als wir. Und nu liebtse ihn, obwohl er der Feind ist. Und er
fliegt und fliegt und siegt und siegt und dann stürzt er ins Meer – was sie ihm
ja gewünscht hatte - und ward nicht mehr gesehen.
Die junge Gutsherrin heiratet nach dem Krieg den Nachbarn,
den sie mag, kriegt zwei Kinder, die sie nicht so richtig mag. Fährt eines Tags
an’s Meer, wo „ER“ verschwunden ist, da wird sie von einer Riesenwelle vergewaltigt,
eine zweite, sanftere, bettet sie im Liebesnachspiel auf den Sand. Und wieder
ist sie schwanger, dieses dritte Kind aber liebt sie und besteht darauf, dass
es nicht vom Ehemann ist. Bevor der arme Gatte sie ins Irrenhaus stecken kann,
kehrt sie mit ihrem Söhnchen ans Meer zurück und vereinigt sich dort mit ihrem
wahren Gatten. (jamileksamarsch)
Natürlich findet reaktionäres Denken hier auch sein
angemessenes Pathos: Und wie einen süßen
schweren Trank, seltsam dargereicht von der Abgeschlossenheit des Raumes und
der Gewalt des Mannes, trank ihr frauliches Herz das erste Mal in ihrem Leben
das Labsal des Unterliegens vor dem Überlegenen. Ihm zur Seite, seiner Kraft
und Männlichkeit ausgeantwortet (!), seinen sie zart haltenden Händen
vertrauend, fühlte sie sich ihres Stolzes, ihrer Unnahbarkeit, ihrer Kälte,
ihrer Verachtung ledig wie eine Koppel von Fesseln, deren Schneiden man erst
empfindet, wenn man davon befreit wird.
Sie steht nicht mehr vor dem feindlichen Invasoren, sondern
als Weib vor dem Mann, der sie mit einem einzigen Blick bezwungen hat. So einen
Blick also muss man drauf haben, wenn man Mädels kirre machen will: (...) fuhr der Blitz aus eines Mannes Blick aus der Tiefe in den Himmel
hinauf. Dieser Blick ergriff den ganzen Himmel: nur die unendlichen Fernen
gingen ihn an. Er ging über Demeter hin und sie war nichts als ein winziger
kleiner Punkt, ein Stäubchen in der Unendlichkeit die dieser Blick umfaßte. Die
Erde und alle Dinge auf ihr waren nichts als kleine kindliche Notdürftigkeiten,
eng herum gestellt zum täglichen Gebrauch; viel zu nahe für dieses Auge, das
den Himmel vor sich hielt wie Gott die Ewigkeit.
Das Textchen ist 1921 erschienen, wo – meint man – noch
nicht die Entwertung der Person zur Funktion gilt, wo es noch nicht heisst: Du
bist nichts, dein Volks ist alles. Freilich: So ein Himmelskiller ist nicht für
den Ehealltag geschaffen. Ehe er wieder durchstartet, ruft er ihr zu, sie solle
ihn vergessen, weil er mit beiden Beinen im Krieg stehe und dann schlägt er zu:
Denn wie ein Schachspieler sein kleines
Brett, so beherrschte der Führer der Staffel die ganze Weite des Himmels. Wie
ein Würgengel war er hinter seinem Gegner und sandte ihm das Verderben zwischen
die Flügel; keiner entkam, den er verfolgte, und keinem erlaubte er, die Erde
lebend zu erreichen. Dass dieser apokalyptische Rächer im Kampf der Engel bald
den Krieg verlieren sollte, fällt natürlich unter den Tisch. Dass er aber auch
nach seinem Tod noch verdammt viril zupacken kann - ist doch auch er Prinzip
nicht Einzelmann – zeigt die heftige Schwängerung durch das Meer, seinem Grab: Die Mole erzitterte, als die Welle am Fuße
aufsetzte und mit einem Schwunge die Böschung hinaufsprang. Demeters Hände
wurden von den Steinen los hoch über ihren Kopf gerissen, ihr Gewand zerriß in
zwei Hälften von oben bis unten, ihr Rücken und Haupt schlugen hart auf den
gemauerten Wall, die Welle ergoß sich, durchdrang, durchfeuchtete, durchblutet sie.
Sie rauschte sich in ihre Sinne, packte, erstickte, erwürgte sie. (Ein Würgeengel
kann halt nicht anders) Sie schlug sich
in ihren Leib wie mit Fängen und hielt ihn hingestreckt, gefesselt, aufgegeben.
Das Ende freilich von Mutter und Tod im Selbstmord ist auch
für das damals herrschende Wertesystem ein Betriebsunfall. Bald wird man nicht
mehr von Welle sprechen sondern von „Bewegung“, bald schenkt man dem Führer ein
Kind; da schmeißt man einen künftigen Soldat nicht ins Meer. Die völkische
Verblendung ist hier schon ante festum zum persönlichen Wahn verdorben, oder
kann man das trennen? Wie hier die Mutter mit
einer unheimlichen Gewissheit ins tödliche Meer geht, so ziehen später die
Väter nach Stalingrad?
Nun war Binding kein erklärter Nazi, wenn er
sich auch von diesen feiern ließ, sondern halt einer dieser zahllosen
„Unpolitischen“, „Kulturkonservativen“. Als die Nazis ihn 1933, ungefragt, auf
die Liste der 88
Schriftsteller, die Adolf Hitler gegenüber das "Gelöbnis treuester Gefolgschaft" geleistet hatten setzten, beschwerte er sich nicht,
sondern beteuerte, dass ein solch „feierliches Gefolgschaftsgelöbnis (...) die
Öffentlichkeit und ebenso den Herrn Reichskanzler“ nicht überraschen dürfte,-
nachdem, was er bisher geschrieben habe.
Mit Anerkennung geizten auch andere nicht: 1928 bekam er in Amsterdam für
seine Dichtung „Reitvorschriften für eine Geliebte“ sogar eine Silbermedaille.
(Eine kurze Zeit wurden auch für künstlerische Leistungen Olympiamedaillen
vergeben). Tatsächlich war er ja auch Rennreiter, Pferdezüchter, hatte Medizin
und Juristerei studiert.
Zu seiner Zeit bekannte Bücher: Keuschheitslegende, Opfergang (verfilmt),
Moselfahrt aus Liebeskummer (verfilmt). Seine Gedichte, seine Tagebücher.
Ich besitze die Gedichte; eine kleine bibliophile Ausgabe aus den 30er Jahren, illustrierte von Willi Harwerth: „Immerwährender Liebeskalender“. Und auch die „Reitvorschriften“.-
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