Leicht macht es das Buch
"Mannesalter" von Michel Leiris dem Leser nicht. Es ist eine
Autobiografie, anders, als man derlei sonst kennt. Es ist eine unbarmherzige
Selbsterforschung. Hier gibt es keine Chronologie, der Alltag fehlt so sehr wie
jeder Hinweis auf Ausbildung oder Berufsleben. Man muss schon anderswo
nachlesen, was für ein bedeutender Ethnologe der Autor war; seine Bücher über
Afrika sind immer noch von Bedeutung. Auch von seinen zahlreichen
Freundschaften mit den französischen Surrealisten erfährt man hier nichts.
Die
Überschriften der drei Dutzend Kapitel verraten wenig: Alter und Tod; Frauen
des Altertums; Bordelle und Museen; Ausgestochene Augen; Das Haupt des
Holofernes; Verletzter Fuß; Gebissene Hinterbacke; Aufgeschlagener Kopf und so
weiter.
Das
klingt nach viel Leid und Unglück, aber auch nach viel Bildung. Tatsächlich –
auch dies ist eine Besonderheit – spiegelt sich das Ich hier fortwährend und
schon ganz früh in literarischen Figuren des Altertums, der Bibel oder der
Klassik. Ein Grundproblem dieses so schonungslos, zuweilen peinlich offenherzig
erforschten Ich ist es, dass es den Verdacht nährt, selbst in den
existenziellsten Situationen eine "Rolle" zu spielen. Und nicht nur
das stimmt den Leser betroffen.
Bei
der Frage nach dem Eigenen, dem Begehren, dem Haben kreist fast alles um die
Beziehungen zu Frauen. Leiris schildert sich in zahllosen Begebenheiten als
höchst kompliziert, widersprüchlich, uneindeutig. Darin liegt der vom Anfang
bis zum Ende durchgehaltene Realismus, der ihn als wehleidig UND tapfer, als
unersättlich UND asketisch, als klug UND verwirrt darstellt. Es gibt keine
beruhigenden Schubladen. Nichts an dieser Autobiografie ist verspielt oder
ironisch oder oberflächlich. Das Schreiben vergleicht er mit dem Stierkampf: Da
geht es um Leben und Tod. Das Nachdenken über sich selbst als Ernstfall.
Dennoch: Nach der anstrengenden Lektüre schaut man mit anderen Augen in den
Spiegel.
Michel Leiris: Mannesalter
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